Hier will ich jetzt mal meine PERSÖNLICHEN Kenntnisse/Theorien was Fahrradfederung anbelangt kundtun. Jeder kann latürnich seinen Senf dazugeben....
Was ich nicht machen werde ist schreiben das und das ist besser und das und das taugt nix, das kann jeder selbst für sich entscheiden , wir sind alle +/- erwachsen *ggg*

Ich glaub schon, daß ich mich halbwegs so auskenn aber auch ich war mal ein komplett Ahnungsloser, hab viel Unsinn und Falschheiten verzapft. Auch mich haben andere Leute mehr oder weniger charmant darauf hingewiesen ("gequirlte kacke").
Man muß daher sich wirklich einmal durch den Kopf gehen lassen, was der andere meint und nicht immer nur auf seiner eigenen Meinung beharren. Bzw. man muß sich fragen warum ist das so, was bewirkt das, was hat sich der Mensch dabei gedacht, welchen effekt kann das haben.....etc.etc.

Zunächst mal folgendes:
Wenn ich mir in irgendeinem Forum (welches auch immer) Beiträge durchlese, strotzen diese vor Mißverständnissen. Alles was mißverstanden werden kann, wird mißverstanden. Deshalb werd ich mal versuchen für Übersicht zu sorgen:

Zunächst mal die Systembezeichnungen.

Unter "Viergelenker" verstehe ich einen Rahmen mit "Horstlink" d. h. es befindet sich ein Gelenk auf der Kettenstrebe zwischen Hinterradachse und Drehpunkt der Kettenstrebe. Die Hinterradachse beschreibt keine kreisbahn mehr sondern eher eine elliptische Bahn (angenähert einer Geraden). Alle vier Gelenke sind für diese Raderhebungskurve notwendig.

Natürlich gibt es noch andere Rahmen die ebenfalls vier Gelenke besitzen. Allerdings beschreibt deren Raderhebungskurve eine Kreisbahn, es ist am Zustandekommen dieser Raderhebungskurve nur ein Gelenk beteiligt. Daher bezeichne ich diese Bauart als "Eingelenker mit mehrgelenkiger Abstützung".

klass. Eingelenker: braucht wohl keine nähere Erklärung :-)

Zur Drehpunktlage des Eingelenkers:

Es geht los.
Die ersten Eingelenker zeichneten sich durch einen relativ hohen Drehpunkt aus zB Cannondale. Ansich macht das ja Sinn (sonst wäre es ja nicht gebaut worden) weil die Ansprechkinematik eines hohen Drehpunktes günstiger ist als die eines niedrigen. Der Hinterbau kann dem Hindernis nach hinten oben ausweichen.
Was man allerdings vergessen hat, war der Kettenzug.
Den Effekt kann man sich folgendermassen vorstellen: Man stelle sich zwei Platten vor, die mit einem Scharnier verbunden sind. Die eine Platte symbolisiert den Hinterbau, die andere den Hauptrahmen. Die Platten sind so aufgestellt wie ein Zelt (das scharnier ist der Zeltgiebel und symbolisiert den hohen Drehpunkt.) Nun nimmt man eine Schnur, symbolisiert die Kette, und spannt sie zwischen den platten und zieht an. Was passiert? Die Platten werden zusammengezogen.
Auf das radl umgesetzt heißt das: der Hinterbau wird runtergezogen dh. er federt aus, verhärtet bei Kettenzug. Gleichzeitig wird auch das Vorderrad auf den Boden gepresst.
Was passiert nun wenn ein Hindernis überfahren wird?
Die hintere Platte wird nach hinten gestossen und die Schnur wird plötzlich gespannt. Beim Radl wiederum bedeutet das Pedalrückschlag.

Na gut, dachte man sich, machen wir halt den Drehpunkt extrem tief. Hinter dem Tretlager oder noch besser KOAXIAL mit der Tretlagerachse.
Wieder das Beispiel mit den 2 Platten. Diesmal aber nicht zeltförmig sondern V-förmig aufgestellt (also das scharnierl ist am Boden). Was passiert, wenn ich jetzt an meinem Schnürl ziehe (aufs Radl umgesetzt: in die Pedale trete)? Klar, die Platten werden wieder zusammengezogen dh diesmal federt der Hinterbau ein beim treten, er wippt, das sogennante Anfahrnicken. Pedalrückschlag tritt dafür kaum auf, mit dem Preis, daß durch Tretenergie das Öl im Dämpfer erhitzt wird.

Man brauchte einen Kompromiss. Irgendwo zwischen diesen beiden Extremen. Also dachte man sich, na gut die biker dieser Welt fahren im Durchschnitt am häufigsten am mittleren Kettenblatt, legen wir den Drehpunkt mal dorthin.
Das bedeutet:
Kleines Kettenblatt -> Drehpunkt ist höher siehe Bsp 1
Großes Kettenblatt -> Drehpunkt ist tiefer siehe Bsp. 2
mittleres Kettenblatt -> Kettenlinie verläuft durch drehpunkt -> den fall hatten wir noch nicht.
Was passiert da? die Platten bilden kein V oder verkehrtes V sondern eine gerade Ebene wenn ich jetzt ein Schnurl entlang dieser Ebene spanne passiert nix, auch nicht wenn sich die Platten bewegen da die Schnur immer durch das scharnier verläuft (parallel zur hinteren Platte).

Auch muß gesagt werden, daß die vorher genannten Effekte die am kleinen und großen Kettenblatt auftreten in diesem Fall abgeschwächter sind, ja sogar erwünscht sein können.
Beispiel kleines Kettenblatt: Am kleinen Kettenblatt fährt man meistens bergauf (ich zumindest), es hat also durchaus Sinn, daß sich der Hinterbau in diesem Fall verhärtet. Der Effekt des Pedalrückschlages ist dadurch, da? der Drehpunkt nahe bei der Tretlagerachse liegt nicht sehr stark.
Großes Kettenblatt: Wenn ich am großen Kettenblatt fahre wird der Hinterbau aktiviert, am großen Kettenblatt ist allerdings der Kettenzug am geringsten, da das Drehmoment gleich bleibt, aber das Kettenblatt größer und die Kraft auf die Kette daher kleiner ist.

Man versucht weiters, durch längere Schwingen die Einflüsse des Kettenzugs auf die Federung weiter zu verringern weil bei einer längeren Schwinge der Radius der Kreisbahn größer wird (kreisbahn nähert sich immer weiter einer Geraden je länger).


Ok. jetzt kommen die Viergelenker:

Damit man sich halbwegs auskennt bzw. zur vollständigen Verwirrung möchte ich nun die folgenden Bauteile wie folgt bezeichnen:

Die Verbindung zwischen 2 Gelenken nenne ich Lenker.
der Drehpunkt der Kettenstrebe im Bereich des Tretlagers: Drehpunkt A
Die Kettenstrebe ist Lenker 1
Das Horstlink ist Drehpunkt B
Die "Sitzstrebe" (+ Ausfallende) ist Lenker 2
das obere Gelenk der Sitzstrebe ist Drehpunkt C
Der Verbindungshebel Sitzstrebe/Dämpfer ist Lenker 3
Das Verbindungsgelenk von Lenker 3 und Hauptrahmen ist Gelenk D

Bei einem Viergelenker besitzt der Hinterbau keinen Drehpunkt sondern eine Momentanpolbahn.
Hä? Was isn das???

Der Momentanpol P ist der momentane Drehpol um den sich eine Ebene während Ihrer Bewegung in einem unendlich kleinen Zeitabschnitt dreht.

Vereinfacht gesagt: der Drehpunkt beim Viergelenker ändert sich ständig.

Den Momentanpol erfahre ich dadurch das ich durch Lenker 1 und Lenker 3 eine Gerade lege, der Schnittpunkt dieser Geraden ist mein Momentanpol.
Wenn der Hinterbau einfedert ändert sich natürlich die Position von Lenker 1 und 3, der Momentanpol wandert auf einer Bahn, der Momentanpolbahn.

Der Witz ist jetzt, daß ich zu Beginn des Federweges einen hohen Momentanpol realisieren kann für gutes Ansprechverhalten, und je weiter der Hinterbau einfedert nähert sich der Momentanpol der Tretlagerachse, was Pedalrückschlag minimiert.
Wenn man sich zB das Cortina ansieht www.avalanchedownhillracing.com/cortinamtn3.html kann man das auch ganz leicht nachvollziehen (mit ein wenig Vorstellungskraft).
Wenn sich der Hinterbau eines Viergelenkers nun ziemlich senkrecht auf und ab bewegt ist er im wesentlichen auch vom Kettenzug entkoppelt (dh. er wird nicht vom Kettenzug aktiviert, Pedalrückschlag gibts trotzdem). Nur ein Hinterbau, der nach schräg hinten federt ist das sicher nicht, weil dann der Hinterbau gegen den Kettenzug arbeiten muß. Was natürlich aber wieder vom Konstrukteur auch beabsichtigt sein kann (aber nicht muss >;-). Der Hinterbau verhärtet sich beim Treten um den Betrag, durch den der Hinterbau durch die Belastung (Gewichtsverlagerung) beim reintretn aktiviert werden würde (im Idealfall, ist meine persönliche Vorstellung).



Ad Pedalrückschlag:
In Hinblick darauf gibt es im wesentlichen nur einen Punkt den man beachten muß. Um welchen Betrag x ändert der Hinterbau beim Einfedern seine Länge L (Mittelpunkt Hiterradachse/Mittelpunkt Tretlagerachse).
x>0 -> Pedalrückschlag
x<0 -> Pedal"vor"schlag -> Hinterbau wird beim Einfedern kürzer
x=0 -> nix passiert

x=0 lässt sich nur durch koaxiale Lagerung des Hinterbaus und Tretlagerachse (richtig: Welle, aber lassen wir das...;-) realisieren zB Rotec, da hat man aber super Anfahrnicken was meiner Meinung nach ein weitaus größerer Nachteil ist.
Theoretisch spielt auch noch folgender Faktor mit:
der Betrag um den sich die Kette am vorderen Ritzel abwickelt und am hinteren aufwickelt.
Beim Nicolai Nucleon ist selbst dieser Faktor ausgeschaltet weil hinteres und vorderes Ritzel gleich groß sind (nach meinem letzten Wissenstand).

Zu Dämpfern mit getrennt justierbarer high und low speed Druckstufe:

Diese Dämpfer machen insoferne Sinn alsdass sie die die niederfrequenten Schwingungen stärker bedämpfen können, die durch die Gewichtsverlagerung beim Treten entstehen. Das heisst im Prinzip, das Radl weiß wann ich reintrete, kann das von Fahrbahnstössen unterscheiden und reagiert nicht darauf.
Nun, so ein Dämpfer kann wohl in keinem radl stören zumal die auch von Nicolai angeboten werden, der ja bekanntlich 4Gelenker konstruiert.


So, jetzt könnts mich alle niedermachen...

>:-)




Edited by BoB on 2001-08-21 12:55.