Bei der Ischgl Overmountain Challenge, der Generalprobe für die Enduro-Europa-Meisterschaften 2014, hat es mich erwischt: Bin wegen Abkürzens disqualifiziert worden. Mit mir auch ein paar Freunde aus unserer Gruppe und etliche weitere Fahrer. Leider ist das Thema Abkürzen bzw. eine Regelung für den legalen Streckenverlauf ein noch ungelöstes Problem bei Enduro-Rennen.
Ich versuche es jetzt mal aus meiner Sicht darzustellen - aus der Sicht eines durchschnittlichen Fahrers (Top 10/20 Masters)
Bei Downhill-Rennen ist es einfach: Mehr oder weniger die gesamte Strecke wird abgebandelt. Innerhalb dieses Korridors kann ich mir meine Linie suchen. Das Suchen der schnellsten Linie ist auch ein wichtiger Aspekt im Downhill-Sport.
Bei Enduro-Rennen ist ein vollständiges Abbandeln der Strecke so gut wie unmöglich. Die Strecken sind teilweise sehr lang und können teilweise schlecht erreicht werden. Gerade in Ischgl wo, ein großteil der Streckenführung oberhalb der Baumgrenze lag, müssten auch Stangen mitgeschleppt werden.
Anfang der Saison hat Fabien Barel an die Fairness der Enduro-Fahrer appelliert nicht abzukürzen. Hab das damals sehr begrüßt und begrüße es immer noch. Das Problem: Es ist nicht so einfach.
Saison 2013
Wenn ich die Saison nochmals Revue passieren lasse: Am Samerberg waren kurze Stages bzw. eine relativ eindeutige Streckenführung (z.B. am Bipekark-Trail). Soweit ich mich erinnere, gut abgebandelt. Dazu kommt, dass ich als Bikepark-Biker und Hobby-Downhiller überhaupt nicht darauf konditioniert war/bin, bei zweimal Fahren (Training, Rennen) irgendwelche Ideallinien, legale Abkürzer (Inside Lines) zu sehen. Hab mich da öfters geärgert, warum ich zu weite Wege gefahren bin.
In Kirchberg dürfte es letztes Jahr eine Abkürz-Problematik gegeben haben. Beim Fleckalm-Trail wäre oben dort oder da Möglichkeiten für massive Abkürzer gewesen. Der Lisi Osl Trail wurde am Abend von Benni Purner noch abgebandelt. 2013 ist angeblich gut kontrolliert worden. Ich bin da aber sowieso noch eher die zu weiten als die zu engen Linien gefahren.
Am Kronplatz hatte ich dann erstmals schlechtes Gewissen: Erste Etappe, unübersichtliche Stelle. Danach sehr viele Spuren gerade aus. Man richtet sich darauf ein - Geschwindigkeit, Blick. Plötzlich: Ups, da wäre ja rechts ein Eck gewesen. Stimmt, gestern beim Trainingsbeginn waren noch keine Spuren gerade aus. Schlechte Gewissen, weil ich da sicher ein paar Meter vom Eck entfernt gefahren bin. Umgekehrt hätte ich mich geärgert, wenn ich die Abkürzung nicht genommen hätte, und dann ein anderer wegen der 3 Sekunden schneller gewesen wäre. Unglückliche Situation. Beim Rest der Strecke ist mir nichts ins Auge gestoßen, wo die Streckenführung unklar war.
Aber ähnliche Situation beim 3-Länder-Enduro. Stage 2, kurz nach dem Start eine schnelle unübersichtliche Kurve. Das Erste was man sieht, sind sehr viele Spuren rechts bei einer Baumgruppe vorbei. Man stellt sich darauf ein und sieht plötzlich, dass die Kurve eigentlich noch nicht aus gewesen wäre und der Weg links von der Baumgruppe weiter gegangen wäre. Zeitgewinn war eher minimal (wenn überhaupt), weil man dann nach der Baumgruppe den längeren Weg hatte. Aber geschätzt war man da kurzzeitig 5 - 10 m vom Weg weg. Birgit Braumann ist es hier gleich ergangen, sie ist aber sogar kurz stehengeblieben, dann aber doch so weitergefahren. Wenn es um Sekunden und Podiumsplatzierungen für Sponsoren etc. geht, ist das schon eine wichtige Sache.
Am Anfang von Stage 4 gab's dann noch eine weitere Situation wo das Unrechtsbewusstsein für's Abkürzen gesenkt wurde: Wir waren grad beim Fotografieren als einer der Top-Fahrer unseren Fotografen Rü fast über den Haufen gefahren hätte. Wir haben dann nochmals raufgeschoben. Kurz war bei mir schon der Gedanke da: Ist das jetzt Abkürzen? Oberhalb war es wurzelig mit ziemlich freier Linienwahl, teilweise abgebandelt (wenn mich die Erinnerung nicht trübt). Aber mit dieser Linie hat man sich ein Eck komplett gespart und ist bei der nächsten Kurve viel runder hingefahren. Der eigentliche Weg wäre über Stufen gegangen, vom Eck davor war man etliche Meter weg. Sicher ein paar Sekunden. Aber wenn das der Schnelle auch macht, wird's schon passen, dachten wir. Gab da dann auch nichts.
Enduro World Series
Auch wenn Barel Anfangs gegen Abkürzen plädiert hat, habe ich dann im Verlauf mitbekommen, dass bei den EWS-Rennen teils massiv abgekürzt wurde. Nach dem Motto: Wenn kein Bandl, dann kann man abkürzen. Vom Hörensagen auch massiv vom Gesamtführenden.
Ischgl Overmountain Challenge
Vielleicht trügt mich auch die Erinnerung, aber die Stages in Ischgl waren was Inside-Lines und legale und illegale Abkürzungsmöglichkeiten betrifft schon sehr extrem. Bei der ersten Stage waren schon sehr viele Inside Lines. Bei einem Wanderweg kann man natürlich nicht alle Ecken ausfahren. Ich denke hier gab es auch einen Konsens was OK ist und was nicht. Auf Stage 2 war der Weg häufig sehr schmal, rinnenförmig vertieft und schlängelte sich so dahin. Da fuhr man häufig neben den Rinnen, die Kurven runder, etc. Stage 4 war ein langer leichter aber lustiger Bike-Singletrail. Oben war er ausgesteckt, aber bei vielen sehr engen Kurven so, dass man teils einige Meter abkürzen konnte. Einerseits nicht schlecht, weil manche Kurven wirklich sehr spitz sind. Allerdings wird man bei dieser Streckenführung schon so drauf konditioniert, dass man häufig die Inside Line sucht.
Gruppendynamik
Diese ganzen Vorkommnisse im Vorfeld wie die EWS-Abkürzungen, kleine Abschneider bei vorangegangen Rennen, die vielen Inside-Lines bei den ersten Stage, und auch diverse Aussagen von innerhalb und außerhalb unserer Gruppe haben dann eine gewissen Eigendynamik entwickelt: Jedenfalls wollten wir keinen Nachteil gegenüber anderen haben, die eventuell die Streckenführung etwas großzügiger auslegen. Also Augen auf, ob irgendwo auffällige Spuren sind. Neben den ziemlich sicher legalen Abkürzungen sind dann noch 2-3 andere mit Abkürzungsspuren aufgefallen.
Nachteilig war sicher auch, dass keiner von uns beim Riders Meeting am Freitagabend war (wegen Abendessen bzw. noch nicht vor Ort), wo auf das Abkürzungsthema nochmals genau hingewiesen wurde und wodurch vielleicht diese Gruppendynamik etwas durchbrochen worden wäre.
Beim Rennen sind dann wirklich 3 von unserer Gruppe eine Abkürzung über eine Wiese gefahren, wodurch zwei Kurven ausgelassen wurden. Ich Nachhinein dumm. Man fährt nicht über die Wiese. Ich glaub es war auch fast schon eine Trotzreaktion - wenn da nicht abgebandelt ist und andere dort fahren, dann fahr ich halt auch. Wenn man geheim abkürzen möchte, würde mans ja auch nicht wo machen, wo man es hunderte Meter weit sieht.
Erwischt dürfte es dort dann noch mehrere haben, bei 3 konnte der Streckenposten angeblich die Nummer nicht ermitteln oder notieren.
Warum bei mir?
Der größere Abkürzer über die Wiese war mir definitiv zu gewagt, den habe ich nicht genommen. Aber ich hatte mir beim Rennen vorgenommen, vorausschauend zu fahren, gute Linien rechtzeitig zu sehen und die auch zu fahren. Also wenn vorhanden legale innere Linien, Kurven runder, rechtzeitig aus den Rinnen raus, etc. Meiner Meinung nach ist mir das auch besser gelungen als bei den bisherigen Rennen. Ein paar kurze Abschneider habe ich sicher übersehen aber, meist hat's schon gepasst. So war ich auch ziemlich konditioniert, auf so kleine Linien-Verkürzer zu achten. Vor einer Links-Kurve gegen Ende von Stage 2 habe ich dann einmal einen Abkürzer gewählt, der einfach zu viel war. Statt vielleicht mal einen Meter neben dem Trail waren's da mehrere Meter. Es waren hier auch nicht viele Spuren, aber die Wiese war schon von einigen Reifenspuren niedergedrückt. Es war eine blöde Spontanentscheidung: Ah - Spur, da fahr ich jetzt. Doppelt blöd, weil ein Freund diese Linie beim Training genommen hatte und meinte, dass sie eh nix bringt, weil im Vergleich zum Trail so holprig. Und dreifach blöd, weil genau an der Stelle Eventfotograf Christoph Beyer stand und ich so aber gar nicht in die Kurve reingefahren bin, die er fotografieren wollte
Geärgert habe ich mich über mich selber, weil ich abgekürzt habe und somit eine Disqualifikation provoziert hatte. Ich will aber korrekt fahren. Wenn ich Streckenposten gewesen wäre, hätte ich mich selbst auch disqualifizieren müssen. Direkt nach der Disqualifikation habe ich mich gar nicht so geärgert, weil ich mir gedacht habe, dass ich eben mit dieser "ich will nix herschenken"-Grundeinstellung ins Rennen gegangen war und das sicher auch ein Risiko ist. Außerdem ist mir die 2er Stage so oder so überhaupt nicht gelegen. Weder die schmalen, teil rinnenartigen Abschnitte, noch die Tragepassage. Geärgert hätte ich mich, wenn ich wirklich überall überkorrekt unterwegs gewesen wäre (wie in den Rennen zuvor) und dann wegen eines komplett unabsichtlichen Verfahrers disqualifiziert worden wäre.
Wie es eben bei der beschriebenen Situation am Kronplatz war. Entweder man hätte einen sehr großen Prozentsatz der Fahrer disqualifizieren müssen, oder - so wie es war - waren die dann die Benachteiligten, die sauber ums Eck gefahren sind. Und wenn ich meinen Disqualifikations-Abschneider mit dem Abschneider vergleiche, den wir uns in Nauders von dem Top-Fahrer abgeschaut hatten, dann hätten wir dort alle - inkl. dem Top-Fahrer - disqualifiziert werden müssen.
Bedanken möchte ich mich ausdrücklich beim Rennleiter vom ÖRV Michael Krug, der auf unsere Fragen nach der Disqualifikation genau eingegangen ist, und wir das im angenehmen Ton besprechen konnten.
Die Profis?
Von der EWS hat man gehört, dass da andere Regeln gelten. Letztes Jahr in Kirchberg am Lisi-Osl Trail wurde auch abgekürzt. Ansonsten ist mir bei den Rennen, wo ich dabei war, kaum was zu Ohren gekommen. Es gab auch wenige Diskussionen darüber. Aber ich denke mir, wenn ich ein Spitzenfahrer wäre, möchte ich so schnell wie möglich sein und müsste dann auch die Grenzen der legalen Streckenführung ausloten. Ich habe da aber nie mitbekommen, dass es einer der Top-Fahrer übertrieben hätte und dann disqualifiziert worden wäre. Nicht, dass ich es jemanden wünsche, aber für mich hat es den Eindruck vermittelt, als würde da kaum durchgegriffen. Teilweise wurde aber sogar zusätzlich zu den Streckenposten mehr oder weniger "verdeckt" beobachtet, ob auch alle richtig fahren würden. Es dürfte da aber immer mit rechten Dingen zugegangen sein.
Insofern finde ich es gar nicht so verkehrt, dass es in Ischgl doch mal mehr Leute erwischt hat, so dass diese Thematik wieder ins Bewusstsein von Fahrer und Veranstalter gelangt, und die Situation möglicherweise verbessert werden kann. Besser bei der Generalprobe als dann bei der EM. Allerdings hat es nur Fahrer aus der 2. Riege und dahinter erwischt. Ausnahme war vielleicht der ursprünglich Schnellste der Masters-Kategorie, ein Slowenischer Ex-Weltcup-Cross-Country-Fahrer.
Warum nicht abkürzen?
Eine der wichtigsten Gründe gegen Abkürzen ist meiner Meinung nach die Schonung der Trails und Böden. Der Trend geht zwar in die Richtung, dass Enduro-Rennen häufig auf offiziellen Bike-Trails durchgeführt werden. Trotzdem ist es immer eine Bereicherung, wenn für ein Enduro-Rennen ein ansonst nicht befahrener Trail oder eine neue Strecke befahren werden darf. Besonders am Samerberg aber auch am Kronplatz und am Reschenpass gab es das. Damit auch in Zukunft Grundstücksbesitzer ihr OK geben, müssen die Regeln eingehalten werden!
Größere Abkürzungen müssen deswegen unterbunden werden. Das große Problem ist aber, wo und wie man die Grenze der Legalität für die kleineren Abkürzer festlegt. Grad für die Top-Leute stelle ich mir die Situation da alles andere als glücklich vor. Was ist erlaubt und was nicht? Was erlaubt ist, sollte ich machen, sonst verliere ich gegenüber anderen, aber wenn ich etwas zu weit gehe, riskiere ich eine Disqualifikation.
Was kann man machen?
Die perfekte Lösung wird's nicht geben. Es wird unklare Situationen und Streitfälle geben. Aber vielleicht kann man die Situation durch ein paar Maßnahmen entschärfen. Mir bzw. uns sind in der Diskussion ein paar Maßnahmen eingefallen:
- Ideal wäre eine Arbeitsgruppe, die ein paar Regeln festlegt. Einerseits sollten die nicht zu kompliziert sein, andererseits ist die Frage, ob man mit zu einfachen Regeln auskommt. Laut Georgy gibt's in Frankreich eine 3 m Regel. Wenn ich mir in Ischgl die Stage 1 und 3 anschaue, wäre man vermutlich mit einer 2 m Regel durchgekommen (also dass die legal gefahrenen Abkürzer max. 2 m vom ursprünglichen Trail entfernt waren). Auf einem eigens gebauten Bike-Trail halte ich aber eine 2 oder 3 m Regel für ziemlich hoch gegriffen.
- Die Regeln sollten in die Ausschreibung mit aufgenommen werden.
- Es soll eine Fahrerbesprechung vor dem Prolog (nicht am Freitagabend) gemacht werden, wo auf diese Regeln hingewiesen wird.
- Es sollte so viel abgebandelt werden, wie möglich - zumindest die Kurven oder potentielle Abkürzungs-Punkte.
- Wenn anders nur schwer möglich, kann ich mir auch eine Abbandelung mit am Boden mit Steinen fixierten Absperrbänder vorstellen (grad wenn ich an die Situation über der Baumgrenze in Ischgl denke). Ist zwar schwerer zu kontrollieren, aber es ist damit zumindest klar, wo ich fahren darf und wo nicht.
- Nach oder während dem Training sollten die Fahrer die Möglichkeit haben, die Rennleitung bzw. die Veranstalter auf potentielle illegale Abkürzer aufmerksam zu machen. D.h. wenn irgendwo Spuren erkennbar sind, oder Abkürzer beobachtet wurden, die nicht legal sind, dann sollte man die melden, so dass diese abgebandelt werden. So dass es nicht zu einem Aufschaukeln kommt: Wenn die das fahren, will ich auch nicht blöd sein, und das Eck ausfahren, womit ich 3 Sekunden verliere - aber auch eine Disqualifikation riskiere. Auch könnten die Veranstalter selbst die Strecke nochmals abfahren und gegebenenfalls abbandeln, falls irgendwo Spuren sind, die eigentlich nicht sein sollten. Die Frage ist natürlich, ob das für den Veranstalter machbar ist. Man könnte auch meinen, dass es blöd ist, wenn nach dem Training die Strecke geändert wird. Allerdings sollte das ja sowieso nur Abschneider betreffen, die nicht legal gewesen wären.
Ob das gescheit ist oder nicht, müssen eh andere entscheiden. Aber eine Verbesserung der Situation ist wichtig.
Was meint ihr dazu? Vorschläge?
Rennbericht nachgereicht: https://downhill-rangers.com/news/74...challenge.html