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Die Evolution des Downhill in 10 Schritten – und ein Ausblick in die Zukunft
#1
Ron’s Philosophicum

Am Anfang war der Federweg. Wer eine Rock Shox Judy DH oder Marzocchi DH3 hatte, durfte sich per se hinten anstellen, als die Männer mit den echten Geräten kamen. Die erste Marzocchi Bomber mit unfassbaren 10 cm Federweg, nennenswertem Ansprechverhalten und dicken Standrohren erlaubte es plötzlich, direkte Linien zu fahren. Als Judy-Pilot hattest du da von vornherein ausgeschissen, Feder statt Elastomer hin, Risse-Kartusche statt originaler her (ohja, wir haben auch damals schon schwerstens herumgetunt!): Wenig Federweg hieß weite Wege. Weite Wege hieß: Zeit.

Die paar Auserwählten mit den argen Gabeln kamen bald drauf, das ihre umgepuderten XC-Kisten trotzdem dauernd am Limit waren: Das bisschen mehr Einbauhöhe der Gabel reichte nicht aus, um die Geometrien tatsächlich DH-tauglich zu machen. Wenn aus 71° Lenkwinkel mittels einer raren Shock Works, Paioli oder gar Marzocchi unfassbare 69° wurden, deutete das das Potenzial des Bikes höchstens an.

Was uns Punkt zwei der Evolution bringt: Als nächstes war der Lenkwinkel. Anfangs noch per gedrehter Hülse, die man unten ins originale Steuerohr einpresste, und so eine höhere Gabel simulierte, später kamen die Firmen selber drauf und strickten die Winkel um. Die Hülsen-Zeit war wahrscheinlich jene Phase, in der auf den Downhil-Strecken am meisten Rahmen gekillt worden: Das Gusset am Unterrohr war in jener Zeit ein guter Indikator für Rahmen, denen man die mutwillige Verlängerung einigermaßen guten Gewissens antun konnte.

Der nächste Schritt waren funktionierende Hinterbau-Kinematiken: Während vorn Gabeln erstmals ins ewige verlängert wurden, eventuell mit einer Doppelbrücke versehen (Rock Shox Judy DDO) ging die Party hinten erst richtig los. Witzigerweise war es ein Steirer aus Bruck an der Mur, der diese Revolution mit seinem Horst Link angeschoben hat (seine Familie ist mit BLM österreichischer Ducati- und GasGas-Importeur). Persönlich hielt Horst Leitner von Downhillern nie sonderlich viel, ihn nervten nur die schlampigen Konstruktionen, die damals im Umlauf waren. Das war er, der mit ATK im MX-Business gut unterwegs war, einfach nicht gewöhnt. Darum konstruierte er das Gelenk vor der Radachse, um Bremsmoment von Antrieb zu trennen. Das Österreicher-Nest in Morgan Hill, Kalifornien (mit Chefdesigner Robert Egger) war schlau genug, sich das Patent zu sichern und die Sache tatsächlich zu Ende zu denken. Horst Leitner hatte seitliche Belastungen des Dämpfers nicht am Programm, bei seinen AMP-Bikes waren Feder- auch tragende Elemente. Das konnte nicht lang gut gehen. Wie es richtig gehört, zeigte Specialized mit dem ersten FSR: Viergelenker trägt, Dämpfer dämpft. So ist es bis heute.

[bigimg]7895 Ron Perkelino himself auf seinem Demo 9. FSR-Hinterbau mit Horst-Link.[/bigimg]Schritt vier: Das Experiment und die Übertreibung. Mitte der Neunziger gab es die irrsten Konstruktionen, damals aus Unwissen begehrenswert, heute verlacht. Wichtiger für die Evolution des Downhillbikes, wie wir es heute kennen, war die Übertreibung. Bleiben wir noch kurz bei Robert Egger und Specialized: Als er das Demo Nine aus dem Hut zauberte, glaubten noch alle an einen Prototypen, auch der Name klang danach: Demo, die Demonstration dessen, was möglich wäre. Hut ab, dass das Viech dann tatsächlich gebaut wurde. Am anderen Ende der Welt, in Bologna, nahmen bei Marzocchi ein paar Männer ihre Eier in die Faust und bauten – abgeleitet von der super-erfolgreichen Monster T (18 cm Travel, wenn ich nicht irre) – die Super Monster mit sagenhaften 30 Zentimetern Federweg. Die Helden damals waren flügellose Vögel wie Josh Bender, die deppert hoch aus dem Stand von irren Klippen droppten (heute nimmer zum Anschauen, das reine Jackass-Tum).

[bigimg]7894 Auch beim Slopestyle in Hinterglemm gab's 8 m Drops.[/bigimg]

An diesem Punkt war die Chance sehr groß, dass das ganze Downhill-Wesen ins Kranke abkippt. Bikes mit 30 Zentimetern Federweg wären ein Freakprogramm geblieben, und das zu Recht. Gerettet haben uns schließlich fünftens die Strecken: Erstmals nahmen Menschen den Bagger in Betrieb, um Strecken ausschließlich zum Bergabradfahren zu bauen, tatsächlich zu bauen. Bis dahin waren wir einfach da runter gefahren, wo ein Weg, ein Steig, eine Wiese war, manchmal auch mehr, manchmal auch weniger. Die Strecke führt kurz bergauf? Wurscht, wir hatten die Sättel ohnehin noch nicht tiefer gestellt. Aus Amerika kamen die Anlieger, ein Wunderwerk der Physik, das wir so nur von Achterbahnen gekannt hatten. Plötzlich hatten Tourismusmanager eine Aufgabe.

Sechstens wurde schließlich an der Peripherie nicht alles, aber schon sehr viel gut. MRP baute die erste funktionierende Kettenführung. Vor MRP war die verlorene Kette im Rennbericht so gängig wie der Motorschaden in der frühen Formel 1. Beides ist inzwischen so gut wie ausgestorben. Die Scheibenbremse funktionierte plötzlich nicht nur, sie war ein Ding ohne Minuspunkte, selbst für überzeugte Fans der unzerstörbaren Magura HS33. Michelin, die einzigen, die sich ernsthaft des Downhill-Themas angenommen hatten, überließen aufgrund nicht nachvollziehbarer Firmen-Entscheidungen das Feld der bis dato weitestgehend unbekannten Firma Maxxis. Als mir Hias Haas einst einen fast ungefahrenen Maxxis Mobster geschenkt hat, war das eine Offenbarung.

In der Zwischenzeit sprangen siebtens die Suspension-Firmen voll auf den Zug auf. Es hatte sicher geholfen, dass die Firma des einen Fox-Bruders (der mit den Fetzen) ein gutes Geschäft mit den Downhillern gemacht hat, um den anderen Fox-Bruder (der mit den Moped- und Schneeschlitten-Dämpfern) davon zu überzeugen, dass da was geht. Manitou irrlichterte wie immer rum, Rock Shox war Platzhirsch, Marzocchi schwächelte: Es war Zeit für eine neue Force. Fox lernte richtig und schnell, tastete sich von Alltagsgurken bis in die Formel 1 des Radsports hoch und trieb so die anderen an. Plötzlich konnte man mit einem technisch deppeneinfachen Eingelenker wie dem Orange Worldcups gewinnen, weil die Dämpfer und Gabeln mehr konnten, als es das Bike theoretisch hätte können dürfen. Wenig Gewicht, geniales Viech von Fahrer (Peat), fertig war die potenzielle Sackgasse.

Jetzt kam aber, Punkt acht, die Ingenieurskunst ins Spiel. Techniker, die montags nicht vor Rennergebnissen saßen, sondern von Berechungen, die ihre Computer das ganze Wochenende beschäftigt gehalten hatten. Wenn ein Krapfen-Orange Worldcups gewinnen konnte, wenn ein Barel auf einem Kona, das dir jeder HTLer problemlos am Schreibtisch zerfleddern konnte, Weltmeister wurde, und das gleich mehrmals: Was wäre dann erst mit einem wirklich guten, von A bis Z durchkonstruierten Bike möglich? Viel Hirmschmalz wurde investiert, weil die logische Lösung (ein Gelenk vor der Hinterachse) von Horst Leitner/Specialized schon belegt war. Manche Auswege waren bloß schrullig (schlag nach bei Trek, GT, Marin oder anderen einstigen Branchengrößen), andere für den Fahrer gewöhnungsbedürftig (VPP wie zum Beispiel von Intense nach wie vor propagiert) manche wegen der Fahrer erfolgreich, weniger wegen der Technik (das, was Dave Weagle für Iron Horse oder aktuell Evil gezeichnet hat). Die einzige Ausnahme ist das Specialized Demo: Das funktioniert von Anfang an und ist seither nur in der Geometrie geändert worden, nicht im System. Was uns direkt zu des Pudels Kern bringt: Du brauchst Ingenieure, die die Zeit, das Geld und die Macht kriegen, eine Idee so lang zu verfeinern, bis ihnen nix mehr einfällt. Mein aktuelles Demo ist mein sechstes, und jedes einzelne war spürbar besser als sein Vorgänger.

Die supergeniale Idee und die perfekte Ausführung hilft dir aber neuntens genau nix, wenn du die Kraft nicht auf den Boden bringst. Nicht vergessen: Am Anfang, so zirka zwischen Punkt 3 und 4, sind die Teams im Woldcup mit den 38-Tonnern aus dem Formel-1-Fuhrpark des letzten Jahres rumgegurkt. Noch vor 10 Jahren habe ich für ein Team gearbeitet, das das Innere des damaligen Benetton-Teamtrucks in eine Bauernstube umgebaut hatte und stolz darauf war. Man wusste nicht genau, worauf man schoss, nahm aber sicherheitshalber die größte Kanone. Heute funktioniert das viel besser und effizienter. Das so wichtige Dirt-Magazin und die Art, wie es denkt und kommuniziert, hat das alte Denken via Quadratmeter, Brottoregistertonnen und Solarium vor Ort abgelöst. Für groß gibt es heute den lustigen Doppeldecker-Bus von MS Evil Racing. Die Kids wissen heute über Downhill ganz normal Bescheid. Für sie steht ein Sam Hill gleichberechtigt neben einem Valentino Rossi oder Lionel Messi, Downhill ist ein kleines Stück Richtung Mode gerückt. Man muss das nicht gutheißen: Downhill hatte immer den Anspruch des Elitären, des Sports für Auserwählte, für motorische Supergenies mit dem Extra-Plus (an Unberechenbarkeit, Punk, Hirn, entsprechendes bitte hier einsetzen). Trotzdem kann man es gut finden, dass ein paar von uns endlich davon leben können, worin sie um so viel besser sind als wir liebende Wappler: Downhill fahren. Zur Beruhigung der Gusseisernen: Von der Ö3-Prolo-Schiene sind wir schon noch ein gutes Stück entfernt.

Was uns zum letzten Punkt bringt: Der Sport ist derart gut geworden, dass selbst wir Lulus heute da Spaß haben, wo früher nur Angst war. Moderne Geometrien beanspruchen Vorderreifen härter als ihre hinteren Kollegen, so kontrolliert und normal ist das Rutschen über das Vorderrad geworden. Bikes halten ewig und drei Tage, Mädels drängen in den Sport. Unsere Wäsche können wir jetzt im Wirtshaus anbehalten, ohne uns dafür schämen zu müssen. Wer im Winter Boarden, Scooten oder meinetwegen Skifahren geht, hockt sommers ganz normal am Downhiller. Die Übertragung eines Worldcup auf Freecaster hat mehr Kraft als es jedes andere Live-Ereignis haben kann. Wir Fans wissen das. Unsere Kinder, die für Sportübertragungen endgültig nicht mehr vorm Fernseher sitzen, sondern sich das unterwegs auf ihrem wie-auch-immer-das-dann-heißt anschauen werden, werden den Whip von Peats Sohn mit Fratz-Schumachers Pole-Position in der Formel 1 gleichwertig sehen, gute Kinderstube vorausgesetzt.

Aber so gut wir den Sport inzwischen kennen: Immer dann, wenn er am Besten ist, ist er am Gefährdetsten. Hinter den Kulissen erfindet sich Downhill gerade neu. Mit Ausnahme von Champery kann der Durchschnittsdownhiller jede aktuelle Worldcup-Strecke auf einem Freerider bewältigen. Das ist neu. Was wird die nächste Evolutionsstufe zünden, wohin geht die Reise: Zum 13-Kilo-ein-Kettenblatt-Gravity-Gerät, wie es die Engländer grad wollen? Zu schwereren Strecken, wie es Franzosen und Schweizer forcieren? Und was haben wir Älpler dem dagegen zu halten?

Nordkette Pro zum Beispiel, die komplette Nordkette in Innsbruck runter, auf Druck. Die Weltbesten. Dieses Rennen wird Antworten auf Fragen geben, die wir alle uns bislang nicht zu stellen brauchten.

[Bild: perkelino.com-w250.png]



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Die Evolution des Downhill in 10 Schritten – und ein Ausblick in die Zukunft - von noox - 2011-08-05, 02:12

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